Wenn wir von sogenannten «High Performing Teams» sprechen, denken wir oft zuerst an messbare Grössen wie Qualifikationen, Ressourcen oder Performance. Was jedoch, wenn das entscheidende Element für den Erfolg eines Teams weniger greifbar, aber umso mächtiger ist? Genau hier kommt der Begriff der psychologischen Sicherheit ins Spiel – ein Zustand, in dem sich jedes Teammitglied traut, Ideen und Bedenken frei zu äussern, ohne Angst vor Nachteilen oder Ausgrenzung.

Abb.: Vertrauen als Faktor für Team-Performance (Eigene Darstellung mit Unterstützung von openAI)
Wieso braucht es psychologische Sicherheit?
Niemand von uns zeigt gern Schwäche. Klar nicht, wir wollen ja nicht inkompetent, destruktiv oder asozial wirken. Wir wollen doch alle lieber unsere starken Seiten hervorheben und gute Teamplayer sein. Und genau hier beginnt einer der Hauptfaktoren, wieso Teams zu schwach performen und sich zu wenig entwickeln:
Wir sind lieber still und lassen unsere Teamkolleg:innen machen, als einen möglichen Konflikt heraufzubeschwören, weil jemand unsere Rückmeldung vielleicht falsch versteht oder uns plötzlich als Besserwisser sieht.
Es ist viel einfacher, keine Fragen zu stellen, niemals ungefragt eigene Ideen vorzuschlagen oder den Status quo so zu lassen wie er ist, statt ihn zu hinterfragen.
Wenn in einer Besprechung ein Thema aufkommt, wo wir gerade nicht wirklich Bescheid wissen, fällt es den meisten von uns leichter, das Thema im Nachgang selbst zu ergoogeln oder zu recherchieren. Denn vor versammeltem Meeting zuzugeben, dass man sich bei einem Thema nicht auskennt, erfordert schon eine grosse Portion Mut und Selbstbewusstsein.
Das gleiche gilt für das Zugeben von Fehlern. Unsere Gesellschaft ist so stark auf das Liefern von Top-Resultaten getrimmt, dass wir unsere Fehler selbst ausbügeln, möglichst ohne, dass jemand den Fehler mitbekommt und unsere Performance möglichst hoch bleibt.
In der Businesswelt lernen wir, dass wir Einwände nur dann einbringen dürfen, wenn wir sie mit klaren Fakten untermauern können. Haben wir also nur ‘so ein Gefühl’ und noch keine klaren Argumente, behalten wir unsere Bedenken lieber für uns.
Was wir vergessen:
Vielleicht wären unsere Teamkolleg:innen froh um unseren Input, weil sie selbst nicht daran gedacht haben.
Eventuell bringen unsere Fragen das Team darauf, mit einem ganz neuen Blick auf die Sache zu schauen und das bringt das Projekt auf ein neues Innovationslevel.
Wenn wir im Meeting sagen, dass wir mit dem Thema nicht vertraut sind, können wir vielleicht vor Ort vom geteilten Wissen der anderen profitieren. Und vielleicht geht es sowieso auch einer ganzen Reihe von Teilnehmenden ähnlich. So sind alle mit minimalem Aufwand auf dem gleichen Wissensstand.
Von unseren Fehlern könnten auch andere lernen. Die müssen diesen Fehler dann selbst nicht auch begehen, weil sie die Erkenntnis aus dem Teilen unserer Erzählungen gezogen haben.
Unsere Intuition meldet sich oft bei uns bevor klare Fakten erkennbar sind. Das heisst aber nicht, dass an diesem Gefühl nicht etwas dran sein kann. Es ist daher sehr wichtig, dass wir auch Gefühle für einen Einwand oder Ähnliches benennen dürfen, ohne dass wir diese zwingend sofort belegen müssen.
Das sind nur ein paar Beispiele, die aufzeigen, welche Wirkung psychologische Sicherheit haben kann.
Aber was ist psychologische Sicherheit überhaupt?
Es gibt eine Vielzahl von Definitionen. Amy Edmondson, Harvard Professorin für Leadership und Management hat den Begriff folgendermassen für definiert: «Psychological safety is a belief that one will not be punished or humiliated for speaking up with ideas, questions, concerns or mistakes.» Übersetzt und gekürzt wurde ihre Definition folgendermassen: «Psychologische Sicherheit beschreibt die Überzeugung eines Menschen, dass es sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen.» Spannenderweise ist psychologische Sicherheit ein kollektives Phänomen. Befragt man ein Team zu psychologischer Sicherheit, sind die Resultate innerhalb des Teams oft ähnlich. Nur selten geben einzelne Teammitglieder dabei völlig unterschiedliche Antworten.
Google hat mit dem «Project Aristotle» bereits 2012 eine Studie initiiert, die das Ziel hatte, die Hauptgründe für effektive Teams zu ermitteln. Man wollte verstehen, was die besten Teams zu den Besten macht. Dabei konnte man fünf Hauptfaktoren eruieren (siehe Abbildung weiter unten). Auf Rang 3 findet man strukturelle Faktoren wie Rollen, Abläufe, Ziele. Zuverlässigkeit macht auf Rang 2 noch einen wichtigern Teil der Faktoren aus.

Abb.: Fünf Faktoren für den Teamerfolg (Eigene Darstellung, in Anlehnung an rework.withgoogle.com)
Mit grossem Abstand liegt die psychologische Sicherheit als wichtigster Faktor auf Platz 1. Die Haupterkenntnis dabei war, dass es weniger darum geht, wie sich ein Team zusammensetzt, sondern vielmehr darum, wie das Team zusammenarbeitet.Gleichzeitig fand man heraus, dass Mitarbeitende mit hoher psychologischer Sicherheit eine höhere Bindung zum Unternehmen hatten und in der Regel mehr Umsatz erwirtschafteten. Von ihren Vorgesetzten wurden diese Mitarbeitenden häufig als doppelt so effektiv wie andere Mitarbeitende bewertet. Psychologische Sicherheit führt also erwiesenermassen zu mehr Produktivität und Innovation.
Und was können wir tun, um psychologische Sicherheit zu erreichen?
Amy Edmondson beantwortet diese Frage so: «It’s more magic than science». Man kann Psychologische Sicherheit also nicht einfach so implementieren wie ein Programm. Es ist mehr ein ständiges Navigieren. Ein wiederholtes Klären von Erwartungen. Trotzdem gibt es drei Tipps, die auf diesem Weg helfen können:
Unsere Welt ist geprägt von Unsicherheit und Wechselwirkung. Niemand kennt im Vorhinein die Lösung auf die Herausforderungen unserer Arbeitswelt. Wenn Führungspersonen ihren Mitarbeitenden genau dieses Mindset vorleben, sind die Prozesse plötzlich durch viel mehr Fragen und Experimente geprägt. Amy Edmondson formuliert das folgendermassen: «Frame the work as a learning problem, not an execution problem.»
Auch beim zweiten Tipp sind Führungspersonen gefragt, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wenn Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden in regelmässigem Austausch darum bitten, gespiegelt und auch gerne einmal hinterfragt zu werden und dann auch entsprechend auf die Inputs reagieren, wird das nicht nur als grosse Wertschätzung wahrgenommen, es hat auch einen riesigen Effekt auf die eigene Haltung. Von den Vorgesetzten vorgelebt, übernehmen Mitarbeitende das Verhalten noch einfacher. Ein konkretes Beispiel könnte sein: «Ich bin nicht unfehlbar. Ich vergesse oder übersehe Dinge, weil ich auch nur ein Mensch bin. Und genau darum ist es wichtig, dass ich diese Inputs von Euch höre.» In Amys Worten: «Acknowledge your own fallibility.»
Echtes Interesse ist nicht nur in der Gesprächsführung zentral, sondern auch im Erreichen der psychologischen Sicherheit. Mein Gegenüber spürt, ob ich meine Frage als Alibi-Übung, zum Ärgern, Besserwissen oder aus ehrlicher Neugier stelle. Mit der richtigen Intention entsteht Raum für neue Gedanken und Innovation. Amys Rat: «Model curiosity and ask lots of questions.»
Fazit
Psychologische Sicherheit wird oft als Soft-Faktor abgetan und darum längst noch nicht so ernst genommen, wie es nötig wäre. So oft suchen Unternehmen nach DEM Faktor, wie ihre Teams mehr Resultate liefern, besser zusammenarbeiten, also schlicht einen höheren Beitrag zum Firmenerfolg beitragen. Die meisten Zielvereinbarungen, die unsere Mitarbeitenden erhalten, decken harte, messbare Zahlen ab. Vertrauen und somit psychologische Sicherheit werden dabei nach wie vor unterschätzt und kommen meisten so gut wie gar nicht vor.
Glücklicherweise erkennen immer mehr Unternehmen den riesigen Hebel dieser Vertrauensebene.
Und übrigens: Psychologische Sicherheit lässt sich gezielt steigern und messen. Habt ihr Lust, Euch mit mir darüber zu unterhalten, wie das in Eurem Unternehmen aussehen könnte? Ich freue mich auf spannende Gespräche.